Von Rage-Bait und Durchschaubarkeit

Wir leben in dunklen Zeiten. Zumindest gefühlt scheint das Negative nicht selten zu überwiegen. Seien es die weltweit anhaltenden Kriege, die spürbare Inflation oder auch einfach das andauernd mitschwingende Gefühl, dass unsere Gesellschaft von Tag zu Tag verkorkster zu werden scheint. So ist es naheliegend, dass wir uns nach Ablenkung von alledem sehnen. Ablenkung, die viele von uns glauben durch Social Media erfahren zu können. Doch das birgt ernsthafte Gefahren, dessen Auswirkungen schon jetzt spürbar sind.

(Bild: leonardo.ai)

Denn wir suchen nach positiven Einflüssen. Witzige Reels, platte Memes oder auch völlig belanglose Einblicke in den Alltag belangloser Menschen. Hauptsache irgendwie „Normalität“ ins Leben bringen. Doch dieses suchtähnliche Verlangen nach beiläufiger Unterhaltung und Ablenkung beansprucht ebenso die Kapazitäten unserer sozialen Batterien wie eine tatsächliche soziale Interaktion im „real life“. Doch das Ergebnis des Konsums sozialer Medienbeiträge trägt eher dazu bei, dass langfristig gesehen erneut ein negatives Gefühl bei uns hängen bleibt, als das von uns so sehr ersehnte Positive. Und als wäre das nicht schon Problem genug, machen wir uns durch unser eigenes Verhalten angreifbar. Angreifbar für mediale Manipulation.

Denn wir dürfen eine Seite nicht vergessen: Es geht auch auf Social Media um sehr viel Geld. Nun wurden sich die Schwächen der Menschen schon immer zu Nutze gemacht, um Gewinne zu erzielen. Und das Erfolgsrezept um dies zu tun nennt sich Reichweite und um genau diese wird unerbittlich gekämpft. Im Zuge dessen ist mir seit einiger Zeit aufgefallen, dass eine klare Entwicklung erkennbar geworden ist. Denn nur durch Reaktionen und Interaktionen lässt sich Reichweite generieren und eines der Menschen liebsten Hobbys ist es sich aufzuregen. Und so einfach funktioniert das Erfolgsrezept von Rage-Bait.
Es klingt so absurd einfach, dass ich es am liebsten nicht wahrhaben wollte. Gleichzeitig verspürte ich jedoch das Verlangen, es selbst auszuprobieren. Also habe ich am Samstagmorgen, den 12.04.25 kurzerhand beschlossen, einen Thread zu posten. Ich hatte zum Zeitpunkt des Posts lediglich 62 Follower, von denen gerade einmal eine Hand voll aktiv zu sein scheint. Eine automatische nicht unbeachtliche Reichweite ist somit also nicht gegeben gewesen. Perfekte Voraussetzung für mein kleines soziales Experiment. Und so habe ich eine Behauptung rausgehauen, die man sicherlich so und so sehen kann, die aber auch jenseits von „unter der Gürtellinie“ ist. Sie lautete: „Nein, es ist nicht normal, dass, wenn man in einem guten Verhältnis zueinander (Freundschaft, gute Bekanntschaft) steht, man länger als zwei Tage auf eine Antwort warten muss.“ Soviel sei gesagt: mit den Auswirkungen dieses Threads hätte ich in der Form nicht gerechnet.

Es war nicht so, als hätte ich nicht schon zuvor Threads gepostet, aber die Reaktionen und Antworten auf diese hielten sich, sagen wir mal, in Grenzen. Dieses mal war es jedoch anders. Es dauerte nicht lange, bis die erste Benachrichtigung als Pop-Up aufleuchtete und ich den sofortigen Gegenwind zu meiner Aussage spüren sollte. Aber auf genau diesen habe ich es schließlich abgesehen und Stand jetzt wurde der Thread 13,2 Tsd. mal aufgerufen.
Ich muss zugeben, es war eine äußerst spontane Aktion meinerseits und ich habe mir im Vorfeld keine Gedanken darüber gemacht, wie ich damit umgehen sollte, würde der Einsatz von Rage-Bait tatsächlich funktionieren. Also habe ich es mehr oder weniger einfach über mich ergehen lassen, zum Teil habe ich aber auch auf verärgerte Kommentatoren provokant geantwortet. Nach geraumer Zeit wurden aber auch gewisse Gemeinsamkeiten unter den Antworten erkennbar.

(Bild: leonardo.ai)

Wie sagt man so schön, getroffene Hunde bellen. Letztendlich hätten sich all jene, die sich von der Aussage angegriffen gefühlt haben, ihren Teil denken und mich innerlich verfluchen können. Aber der Drang oder vielleicht auch der Glaube sich rechtfertigen zu müssen, schien deutlich zu überwiegen. An dieser Stelle werde ich keine einzelnen Antworten rezitieren, um keine betroffenen User rauszupicken und sie unter Umständen bloßzustellen. Wer Interesse an den Antworten hat, kann sie auf Threads nachlesen.
Es fiel jedoch auf, dass mit aller Gewalt versucht wurde, mich als anmaßend und fordernd darzustellen. Fast allen war meine Wortwahl ein Dorn im Auge wie zum Beispiel die Tatsache, dass ich diejenigen, die meiner Aussage widersprochen haben, als unnormal bezeichnet habe. Allerdings finde ich es erschreckend, dass es manchen Kommentatoren schwer fällt anzuerkennen, dass psychische Erkrankungen, welche in manchen Fällen ausschlaggebend für das von mir kritisierte Verhalten sind, nicht normal sind. Und meiner Meinung nach ist es ein Unterschied, ob wir als Gesellschaft immer häufiger auftretende psychische Erkrankungen als ernstzunehmendes Problem anerkennen und versuchen es anzugehen oder wir sie einfach als normal abtun und somit letztendlich resignieren. Denn wünschenswert wäre es mit Sicherheit, wenn sich niemand diesen Erkrankungen ausgesetzt sehen müsste.

Des Weiteren haben manche versucht das von mir kritisierte Verhalten damit zu rechtfertigen, dass sie einfach nicht genug Zeit hätten, um auf jeden noch so überflüssigen Smalltalk zu reagieren. Dabei hat sich in manchen Antworten gezeigt, dass die User teilweise nicht einmal im Stande waren, meine Aussage richtig zu interpretieren. Denn es geht eindeutig nicht darum, jeden Tag miteinander zu schreiben und innerhalb von zehn Minuten eine Antwort zu erwarten. Das wäre nämlich eine noch ganz andere Red Flag. Und lächerlich wird es dann eben, wenn manche behaupten keine Zeit für so etwas zu haben, während sie auf einen am Ende des Tages irrelevanten Thread von einem ihnen unbekannten Typen antworten.

Auch ist es ein krasser Widerspruch, wenn Teilen der Gesellschaft vorgeworfen wird, nicht im Stande zu sein ausreichend Self-Care zu betreiben und die eigenen Emotionen nicht kommunizieren zu können, gleichzeitig aber deutlich gemacht wird, dass das Wohlergehen mancher Mitmenschen im Endeffekt einfach keinen ausreichend hohen Stellenwert zu haben scheint. Der Mensch scheint sich wohl doch letztendlich immer für den einfachsten Weg entscheiden zu wollen.
Das zeigt sich auch in einem letzten Punkt, den ich gerne aufführen möchte. Manche haben versucht mit der Anzahl an Kommentaren zu argumentieren, in denen meiner Aussage widersprochen wurde, dass ich somit nur falsch liegen könne. Dabei hätte es nur eine etwas detailliertere Beschäftigung mit dem Thread gebraucht, um zu erkennen, dass die Zustimmung meiner Behauptung, die sich in Form von Likes widergespiegelt hat, über der Anzahl der individuellen Kommentatoren lag, die mir widersprochen haben. Schließlich haben manche Leute mehrfach geantwortet und auch unter den Kommentaren fanden sich User, die der Behauptung zugestimmt haben. Dies zeigt, dass ein nicht unbeachtlicher Teil der Gesellschaft nicht in der Lage ist, sich kritisch mit Dingen auseinanderzusetzen, was selbstverständlich keine neue Erkenntnis ist, jedoch immer wieder erschreckend ist, wenn sie einmal mehr auftritt.

Insgesamt war es ein für mich sehr intensiver Tag auf Social Media, den ich in der Form wirklich nicht brauche. Und mir fehlt auch das Verständnis dafür, warum man soviel Energie aufbringen sollte, um regelmäßig an solchen aussichtslosen Diskussionen teilzunehmen. Nicht, weil der Inhalt der Diskussion irrelevant ist, aber die Art und Weise eben nicht zielführend ist. Hinter Rage-Bait stecken nunmal andere Absichten, als beispielsweise die Welt verbessern zu wollen.
Dennoch wollte ich sehen, wie wohl ein weiterer Thread abschneiden würde, wenn ich bewusst auf die behandelte Taktik verzichten würde. Das Ergebnis war wie erwartet…

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