Enthusiasmus
Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, dass ich den letzten Beitrag veröffentlicht habe. Und ich bin mir noch nicht ganz sicher wieso, aber irgendwie fühle ich mich schlecht deswegen. Auch das ist wieder dieser Druck, den wir uns vor allem selbst machen. Aber ich glaube, das hier wird der erste Beitrag, der meiner ursprünglichen Intention entspricht – nämlich meine Gedanken in Worte zu fassen und somit einen klaren Kopf zu schaffen. Denn die Sache ist die, wenn ich ein Gedicht schreibe, dann geht es für gewöhnlich auch um Dinge, die mich beschäftigen, aber das Problem an künstlerischen Texten ist, dass sie auch immer einen gewissen Anspruch an uns stellen. Sie lassen sich nicht so einfach schreiben, wie beispielsweise ein Tagebucheintrag. Dieser Text ist am Ende wahrscheinlich auch nicht viel mehr als eine typische Seite in einem scheinbar umbedeutsamen Tagebuch, auch wenn das hieße, dass ich scheinbar keinen großen Wert darauf lege, dass die ganze Welt problemlos mitlesen kann. Ist aber auch egal, denn ich gehe nicht davon aus, dass diese Texte sonderlich viele Menschen erreichen werden. Aber kommen wir zur Überschrift.
Enthusiasmus. Ein tolles Wort, zumindest klanglich. Irgendwie auch ästhetisch in seiner Optik. Dahinter, in seiner Bedeutung, steckt jedoch etwas Niederschmetterndes. Was bedeutet Enthusiasmus für uns? Für mich bedeutet es voller Tatendrang zu sein, mich für etwas zu begeistern und, geleitet von diesen äußerst energiegeladenen Gefühlen, mich als unaufhaltsam zu erachten. Es fährt eine wahrhaftige Wucht an positiver Energie durch meinen Körper. Ein tolles Gefühl. Aber dann ebbt es ab, dann nimmt der Alltag wieder Überhand und es scheint unmöglich, den Enthusiasmus beizubehalten. Und daraus folgt eben das Niederschmetternde. Dann dauert es nämlich zwei Monate, bis ich wieder schreibe. Ich habe natürlich nicht nichts gemacht. Der Podcast, der bald online gehen wird, musste geplant werden mit allem, was dazu gehört. Ich habe nicht selten musiziert und neue Stücke geübt. Und parallel lebe ich auch noch ein ganz normales Leben mit einer ganz normalen Arbeit. Aber in manchen Momenten fühlt es sich dennoch schlecht an, weil ich gefühlt stagniere und die Dinge aus den Augen verliere, die erst für den Enthusiasmus gesorgt haben. Aber dann realisiere ich, wie sehr ich innerhalb der letzten Jahre charakterlich gewachsen bin. Ich verzeihe mir selbst mehr als früher, wenn auch nicht sofort. Und ich verzeihe es mir auch, dass ich die letzten Wochen nichts veröffentlicht habe. So oft habe ich mich in meinem bisherigen Leben schlecht gefühlt, wenn ich einfach mal auf dem Sofa gechillt habe. Wenn ich einen Film anschauen wollte, habe ich mich so schlecht gefühlt, dass ich letztendlich nicht imstande war, dem Film zu folgen. Und das ist dann die eigentlich verschwendete Zeit. Es spricht doch nichts dagegen in einem gesunden Maß die Dinge zutun, auf die wir gerade Lust haben. Pflichten haben wir eh genug und sie sind definitiv wichtig, denn ohne sie ginge auch ein Teil unserer Struktur im Alltag verloren. Aber am Ende bin ich eben nicht der Musiker oder Schriftsteller, der von seiner Kunst lebt und diese eben deshalb auch nicht zu den Pflichten zählt. Aber sie zählt zu den Dingen, die mir Freude bereiten und die sollten wir alle nicht aus dem Auge verlieren, sondern bewusst fokussieren.
Gesagt habe ich das oft, aber es hat über dreißig Jahre gedauert, bis ich anfing das zu fühlen. Ja, Work-Life-Balance ist echt. Sie ist vielleicht mit das Wichtigste in unseren Leben, denn verlieren wir sie aus den Augen, sind unsere Leben sehr schnell nicht mehr lebenswert. Und dann denke ich an jemanden, der allen ernstes behauptet, dass wir uns das nicht mehr leisten könnten. Jemand, der selbst privilegierter ist, als die Mehrheit von uns – jemand, der die Interessen derjenigen vertritt, die ebenfalls privilegierter sind und jene Privilegien nur erlangen konnten, weil unter anderem die für sie arbeitenden Menschen ihre Work-Life-Balance aus dem Auge verloren haben und nicht so machtbesessen sind. Ich weiß, dass ich an dem Gesamtkonzept nichts ändern werde. Aber ich habe nun realisiert, dass ich zumindest mein gegenwärtiges Dasein priorisieren muss, um mein eigenes Leben mit Sinn zu erfüllen und meine Lebenszeit bestmöglich nutzen zu können. Wahnsinn, nicht wahr? Wie so simple Erkenntnisse einen so unbeschreiblich komplexen Prozess in uns auslösen können. Während ich so schreibe, merke ich, wie ich in Gedanken von einem Thema zum nächsten abschweife. Und dann frage ich mich, wie diese Zeilen auf andere wirken. Bleibt am Ende nichts als Enttäuschung, weil es irgendwelche random Zeilen sind, die zu keinem Ergebnis führen? Andererseits bin ich überzeugt, dass es nicht wichtig ist, was ich schreibe, sondern dass es ehrlich ist.
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke und ehrlich zu mir selbst bin, muss ich mir die Frage stellen, was dieser Text noch mit Enthusiasmus zutun hat. Deshalb habe ich gerade nochmal den Anfang dieses Beitrags gelesen und denke, dass die Überschrift nicht passender sein könnte. Mein Enthusiasmus verleitet mich nämlich gerade dazu, diese Zeilen in einem Stück zu Ende zu bringen. Ich könnte jetzt auch noch ein ganz anderes Fass aufmachen und zwar, dass die negativen Seiten von Enthusiasmus jeden Tag zu beobachten sind. Insbesondere dann, wenn wieder irgendwelche Menschen völlig überenthusiastisch ihren eigenen Willen durchsetzen und ihre persönlichen Überzeugungen anderen Menschen mit aller Gewalt aufzwingen wollen. Aber ich glaube, dass ich nicht unbedingt weiter darauf eingehen muss, weil wir alle sofort eine genaue Vorstellung hiervon haben und uns unmittelbar aktuelle Beispiele einfallen. Deshalb machen wir uns doch noch einmal bewusst, wie widersprüchlich Enthusiasmus eigentlich ist, indem er uns zu Beginn so unfassbar positiv und stark fühlen lässt. Gleichzeitig setzt er eine so starke Kraft frei, die im negativen Sinne so vereinnahmend ist, dass sie uns selbst nicht gut tut, da wir damit meistens unterbewusst uns selbst und den Menschen um uns herum schaden. Deshalb breche ich hier ab, da der Kopf nun freier ist und der Enthusiasmus seinen Soll für heute erfüllt hat.
