Brief an Vidar – #2

Hey Vidar,

ich habe nicht damit gerechnet, dass Du meinen Brief so zu schätzen weißt. Nun ja, ich hoffe, dass es sich am Ende nicht ein weiteres Mal als Fehler herausstellt, dass ich mich erneut jemandem anvertraue. Versteh mich nicht falsch, das soll keine voreilige Unterstellung sein. Jedoch wurde mein Vertrauen in der Vergangenheit stark in Mitleidenschaft gezogen. Aber wie ich Deinen Zeilen entnehme, weißt Du ja auch, dass wir letztendlich nicht allzu weit kommen, wenn wir versuchen alles mit uns selbst auszumachen. Und ja, die Möglichkeit, mit dem Äußern unserer Sorgen jemandem in gewisser Weise zur Last fallen zu können, besteht und somit ist die Angst davor ja auch berechtigt. Und ganz ehrlich, ich kann verstehen, dass nicht jeder Mensch im Stande ist, sich unseren Sorgen anzunehmen. Die Gründe dafür können dabei sehr verschieden sein. Sei es fehlende Kraft, weil sie selbst für das Leben typische Kämpfe auszutragen haben. Oder fehlende Empathie beziehungsweise können sie vielleicht nicht so gut in Worte fassen, was sie uns eigentlich gerne mit auf den Weg geben würden. Aber es sollte sehr wohl durchdacht sein, wie wir damit umgehen. Denn nicht jede Reaktion der Menschen, an die wir uns wenden, ist ein persönlicher, gegen uns gerichteter Angriff. Trotzdem gilt es den zwischenmenschlichen Umgang mit allen Menschen, mit denen wir zutun haben, mit Bedacht zu beobachten und zu bewerten. Nur so können wir im besten Fall an ihnen wachsen und frühzeitig erkennen, wenn ein Aufrechterhalten einer Beziehung langfristig einen Nachteil für uns darstellen würde. Und manchmal ist es vielleicht auch einfach besser, sich Rat und Hilfe von jemandem außerhalb seines sozialen Umfelds zu suchen.

Dein Symbol der unsichtbaren Hand der Vergangenheit, die Dich an der Schulter berührt, hat mich schlucken lassen. Das habe ich beim Lesen wahrhaftig nachempfinden können. Auch habe ich darüber in der Vergangenheit schon viel nachdenken müssen. Betrachten wir uns selbst als Konstrukt, ist jede Phase unseres Lebens, die es geschafft hat, sich zu einer undefinierten Menge an Erinnerungen zu manifestieren, auch gleichzeitig ein Baustein dieses Gesamtkonstrukts geworden, das nur in Gänze existieren kann. Somit müssen wir einerseits unsere dadurch bedingte Existenz akzeptieren, andererseits aber auch lernen damit umzugehen, dass, obwohl nicht jeder Baustein im Konstrukt mit einem positiven Gefühl verknüpft ist, wir uns nicht davon aus der Bahn werfen lassen dürfen, sollten auch die eher ungern gesehenen Steine durch ungünstig geworfenen Schatten mal wieder zum Vorschein kommen.

Während ich Deinen Brief wieder und wieder lese und mir Gedanken mache, wie ich am besten darauf antworte, fällt mir auf, wie sehr doch die hervorgebrachten Punkte letztendlich irgendwie zusammenhängen. Ich denke auch, dass Glück ein Zustand ist oder wie Du schon sagst, manchmal auch nur ein Augenblick. Entgegengesetzt der weit verbreiteten Meinung, dass wir uns Glück erarbeiten könnten, vermute ich, liegt die Kunst einfach nur darin, das Glück als solches zu erkennen. Ich gehe soweit zu behaupten, dass es nie das Problem ist, dass das Glück jemals ausbleibt. Im Gegenteil, es ist immer da. Das Problem sind wir selbst, indem wir die Augen vor der echten Realität verschließen und uns nur auf unser Empfinden und unsere Vorstellung der, also die falsche Realität fokussieren. Und dann schließt sich der Kreis, denn an Problemen, insbesondere an unseren eigenen und an der von ihnen manipulierten, falschen Realität können wir sehr wohl arbeiten. Das Glück muss nicht uns finden, sondern wir müssen zur echten Realität zurückfinden und dann erst kann es sich uns zeigen.

Aber an dieser Stelle muss ich wohl zugeben, dass ich selbst auch nicht immer in der Lage bin Glück zu erkennen. Doch zumindest habe ich wieder zu mir zurückgefunden und verfolge den einzig authentischen Weg, wie ich mein Innerstes zum Ausdruck bringen kann. Du schriebst über mich, dass ich nie nur existieren wollte, sondern wirken. Damit hast Du den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich frage mich immer wieder Mal warum ich glaube, dass es das ist, was für mich erstrebenswert, wenn nicht sogar essentiell ist, um am Ende meiner Tage das Gefühl zu haben, in meinem Leben wahrhaftig etwas erreicht zu haben. Und manchmal glaube ich, dass, bestünde die Möglichkeit einfach einen Knopf zu drücken, der bewirkt, dass ich ein ganz normales, vermeintlich langweiliges Leben führte, ich das tun würde, weil ich so oft überzeugt zu sein glaube, dass dann alles viel einfacher wäre. Kannst Du das nachvollziehen? Wie fühlst Du Dich heute, wenn Du Dich an Deine Pläne erinnerst, reisender Journalist zu werden und an die Umstände, die es letztendlich verhinderten? Jetzt lebst Du ein ganz normales Leben, oder? Bleibt nur die Frage, ob Du es bereust. Ob Du das Gefühl hast, nicht Deiner wahren Bestimmung gefolgt zu sein. Wie siehst Du all das heute?

Bis hierhin erstmal. Pass auf Dich auf.

VERPASSE KEINEN
BEITRAG MEHR!

Jetzt kostenlos abonnieren und keinen neuen Beitrag mehr verpassen.

Ich sende keinen Spam! Erfahre mehr in meiner Datenschutzerklärung.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen