Soundprint
Auf der Suche nach Gleichgesinnten
Hier geht’s zur PlaylistWenn man meinen familiären Background kennt, weiß man, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass ich musikalisch talentiert bin und mich zu einem Musik-Nerd entwickelt habe. Und auch wenn ich von meiner Mutter bei meinem generellen Interesse an Musik und an Instrumenten von klein auf unterstützt wurde, hat den Grundstein für meine Identitätsfindung letztendlich nicht meine Familie, sondern Jack Black in „School of Rock“ aus dem Jahr 2003 gelegt. Mit dem Soundtrack zum Film nahm alles seinen Lauf und mein bester Freund und ich sind wahrhaftig in der sich uns offenbarenden Welt des Rock und all seinen Facetten versunken. Alben aus längst vergangenen Tagen, aber auch stets aktuelle Bands haben ihren Weg auf unsere PCs, selbstgebrannten CDs und MP3-Player gefunden. Es ging immer um sehr viel mehr als nur Musikhören, es ging um unsere persönliche und freundschaftliche Entwicklung. So blieb es auch nicht nur bei Rockmusik. Wir wurden offener und auch reifer. Rückblickend kann ich mir nicht vorstellen, wie ich eine auch nur ansatzweise so bedeutende Freundschaft mit jemandem hätte aufbauen können, der nicht meinen Musikgeschmack über so weite Strecken geteilt hätte.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Musik ist äußerst intim. Betrachtet man Musikhören in einem neurobiologischen Kontext, werden auch hierbei Belohnungssysteme, insbesondere in Form von Dopamin, das in direkter Verbindung zu Lust, Motivation und Belohnung steht, aktiviert, wie es zum Beispiel auch beim Sex der Fall ist. Auch wenn es nicht zum Orgasmus führen mag, was an fehlender sexueller Stimulation insbesondere in Form von Körperlichkeit liegt, aktivieren die ausgelösten Emotionen die teils selben Hirnregionen, was wiederum ein zumindest ähnliches Gefühl erzeugt, wie es bei einem Orgasmus der Fall ist. Und ich hoffe inständig, dass jeder schon einmal ein für Musik typisches „frisson“ erlebt hat.
Mit den Jahren entwickelten sich diese intensiven „listening sessions“ jedoch eher zu einer isolierten Tätigkeit, der ich nur noch alleine nachgehe. Und das auch viel seltener als früher. Wichsen ist nunmal kein Ficken. Will heißen, erst der Austausch, das gemeinsame Erleben, das denselben Moment für zwei involvierte Menschen zu einer gemeinsamen Erinnerung formt, macht die Sache an sich eben nicht nur schön oder befriedigend, sondern vor allem besonders. Das ist auch nicht mit jedem Menschen gleichermaßen möglich. Umso wichtiger ist es, dass man im Stande dazu ist, den Stellenwert einer solchen Verbindung anerkennen zu können, gerade auch deswegen, weil man es nicht erzwingen kann, einem solchen Menschen zu begegnen.
Auch wenn ich Musik selbstverständlich noch immer liebe, hat sich meine Beziehung zu ihr verändert. Tief in mir drin gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich das eines Tages wieder ändern kann. Aber für den Moment gilt es die Gegebenheiten zu akzeptieren, wie sie sind. Das bedeutet, dass ich nicht mehr so für Musik brenne, wie ich es einst tat. Das bedeutet, dass ich nicht mehr so hinterher bin, neue Künstler zu finden und neue Lieder zu hören, obwohl genau das damals für mich essentiell war. Und genau das ist der Anlass, warum ich diese Playlist ins Leben rufe.
Wann und vor allem warum hörte es überhaupt auf? Es kann doch nicht nur daran liegen, dass ich keinen Menschen mehr zu meinem Alltag zähle, der sich so für Musik begeistern kann, wie ich es potentiell nach wie vor tue. Vielleicht liegt es auch daran, dass alles heutzutage irgendwie isolierter scheint als früher. Der Austausch findet heute zwar noch statt, aber möglicherweise auf eine unpersönlichere Art und Weise, sodass der Output einfach weniger bedeutsam ist. Und wenn er schon nicht mehr von Mensch zu Mensch möglich zu sein scheint (was vermutlich Quatsch ist, aber auch eine gefühlte Realität hat gewisse eigene Auswirkungen), wieso sind selbst die Algorithmen zu oft so enttäuschend? Zum Beispiel zeigt mir Spotify bei weitem nichtmal die Neuveröffentlichungen der Künstler an, denen ich folge. Stattdessen bekomme ich nicht selten Alben beim öffnen der App angezeigt, die ich wirklich nicht gut finde. Dazu kommt die Tatsache, dass durch das Veröffentlichen einzelner Singles die Begeisterungsfähigkeit starke Einbußen erlitten hat. Es geht nur noch selten um zusammenhängende Kunstwerke, sondern darum dem Druck der Streaminganbieter und ihrer Algorithmen standzuhalten, um überhaupt einen Krümel des Kuchens abbekommen zu können. Wie das am Ende des Tages ankommt, muss jeder für sich selbst entscheiden, aber Fakt ist, dass der Musikkonsum heute anders ist, als früher. Er reiht sich in das gegenwärtige Krankheitsbild unserer Gesellschaften ein. Alles plätschert so vor sich hin und zu vieles wird nur noch halbherzig gemacht.
Es ist leicht in Negativität und Pessimismus zu versinken. Betrachten wir doch mal das Positive. Heute ist es soviel einfacher sich der Welt mitzuteilen. Klar, es ist anders, aber es ist nicht automatisch schlechter. Es wäre früher undenkbar gewesen, dass ich so einfach eine Playlist erstelle, für die ich Zugriff auf fast alle Songs habe und die ich so einfach mit der Welt teilen kann. Dadurch Menschen zu erreichen, die einen ähnlichen Musikgeschmack haben wie ich, ist potentiell wahrscheinlicher geworden. Menschen, die froh sind, wenn nicht jede Woche neue Musik an ihnen vorbeigeht, obwohl heute alles irgendwie zu viel ist. Menschen, die offen sind und sich nicht von homogenen Playlists oder Sendern abhängig machen, weil sie Synthesizer genauso lieben wie Drums und Orchestermusik. Menschen, die neugierig sind und neue, unbekannte Künstler gleichermaßen zu schätzen wissen, wie die Weltstars, die ihnen mit ihren Stimmen ein Gefühl von Vertrautheit geben. Wenn ich euch finde, habt ihr hier eine Playlist, die nicht aufgrund von Algorithmen aktuell gehalten wird. Hinter dieser Playlist steckt ein Mensch, der den Austausch sucht. Dafür müssen wir vielleicht nur wieder mehr zu lieben lernen, mit anderen Menschen zu reden. So ganz aus freien Stücken. So ganz ohne Frust.